Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Wie viel Meinungsfreiheit verträgt das Internet?

Pöbeleien, Desinformationskampagnen, Lügen, Verleumdungen, Hasstiraden – nichts, was es nicht in den sozialen Netzwerken gibt.

Das von der Bundesregierung vorgelegte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetztDG ) soll ein besseres Vorgehen gegen die so genannte Hatespeech und Fake News in den sozialen Netzwerken ermöglichen.  Zwei schwammige Begriffe,  die nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, dass die Abgrenzung zwischen noch erlaubter und schon strafbarer Äußerungen häufig nicht sehr leicht zu ziehen ist.

Schwerpunkt des Gesetzentwurfes ist die festgeschriebene Pflicht der Plattformbetreiber, ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorzuhalten und bereits offensichtlich rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde zu löschen oder zu sperren. Bei Verletzung der Verpflichtungen werden erhebliche Bußgelder angedroht.

Was sich so einfach anhört, stößt auf die berechtigte Kritik einer Allianz der Meinungsfreiheit von Wirtschaftsverbänden, netzpolitischen Vereinen und Bürgerrechtsorganisationen. Sie halten die unbestimmten  Begriffe für problematisch. Zu Recht werden auch große Probleme darin gesehen, dass die Rechtsdurchsetzung bei den Plattformbetreibern privatisiert wird und sie zu Ermittlern, Richtern und Vollstreckern gemacht werden. Eine wirksamere Strafverfolgung der Straftäter selbst spielt eine nur untergeordnete Rolle.

Gerade weil die Meinungsfreiheit ein so wichtiges Gut ist, müssen unabhängige Richter über ihre Beschränkung entscheiden. Wegen der hohen Bußgeldandrohungen besteht weiter die Gefahr des Overblocking und damit des Entfernens rechtmäßiger Inhalte. Der Betroffene, dessen erlaubte Meinungsäußerung von privaten Konzernen gelöscht wird, kann sich kaum dagegen wehren, denn er hat keinen Anspruch darauf, dass seine Äußerung von den Netzwerkbetreibern auch veröffentlicht wird. Ob es Widersprüche mit europäischem Recht gibt, muss ebenfalls noch intensiv geprüft werden.

So wichtig es ist, strafbare Inhalte aus dem Netz zu entfernen, so wichtig ist es auch, die Grenzen der Einschränkung der Meinungsfreiheit einzuhalten.

Überantworten wir die Beurteilung der Meinungsfreiheit und ihre Grenzen jetzt Konzernen? Kommt das bei nicht strafbaren Inhalten nicht einer Zensur aus unternehmerischen Interessen gleich?

Die Kritik an dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz muss ernst genommen werden und darf nicht zu einer schnellen Verabschiedung führen.

 

 

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

​Bundesministerin der Justiz a.D.

Mitglied des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung